Kanton Oberland

Gebiet

Der Kanton Oberland ging aus der Zerschlagung des Berner Herrschaftsgebiets des Ancien Régime hervor. Er wurde in zehn Distrikte aufgeteilt: Saanen, Obersimmental (Hauptort Zweisimmen), Niedersimmental (Erlenbach), Frutigen, Aeschi, Thun, Unterseen, Interlaken (Wilderswil), Brienz und Oberhasli (Meiringen).[1] Am einschneidendsten war die Aufteilung des ehemaligen Amts Thun. Die aus der Grenzziehung zwischen den Kantonen Oberland und Bern entstandenen Konflikte sind in der Dissertation von Ernst Jörin über den helvetischen Kanton Oberland beschrieben: «Verfehlt war von Anfang an die Beschränkung des Gesamtareals auf alpine Gebiete, indem man das ehemalige Amt Thun bis auf ein Weniges abriss. Die Gemeinde Thun, hatte schon am 18. März [1798] General Brune gebeten, das strittige Gebiet ungeschmälert mit dem Oberland zu verschmelzen, und das Landgericht Steffisburg hatte sich in öffentlicher Abstimmung für den Anschluss ans Oberland ausgesprochen. Trotzdem gelang es Bern, das alte Amt mit Ausnahme von Thun und Sigriswil, in Form zweier helvetischer Distrikte Amsoldingen und Steffisburg zu erlangen. Hiegegen wandten sich Verwaltungskammern und Kantonsgericht ans Direktorium. Es schien ihnen unerhört, dass der fremde Kanton dicht an die Mauern ihrer Hauptstadt stosse, und mit vollem Recht betonten sie, wie wertvoll für die ärmlichen Alpengegenden diese Zugabe eines Stückes fruchtbaren Mittellandes sei, ohne dass dadurch dem Kanton Bern nennenswerter Abbruch geschehe. Dass durch diese wahllose Zerreissung einer ehemals festgefügten Landschaft unliebsame Verquickungen in der Verwaltung entstehen mussten, ist klar; offenbar bereits durch die Erfahrung belehrt, hoben die Petenten unter anderem die Unzukömmlichkeit z. B. im Sanitätswesen hervor, wenn Bern so weit ins oberländische Gebiet einkeile, so dass bei einer Grenzsperre bernischerseits Thun sozusagen von seinem eigenen Kanton abgeschnitten würde.
Dieselbe Abrundung des kantonalen Areals oder Anschluss des Oberlands an einen andern Kanton hatte auch Joneli empfohlen; aber alle diese Vorschläge verhallten wirkungslos – zum grossen Nachteil des neuen Kantons, dem dadurch schon in seinem Entstehen das Leben abgeschnitten wurde.»[2]

Der helvetische Grenzverlauf zwischen den Kantonen Oberland und Bern wurde bis anhin generalisiert und ungenau dargestellt. Unsere Grundlagen und die Dissertation von Ernst Jörin ergeben ein differenzierteres Bild. Es weicht zwischen den Kantonen Bern und Oberland in wichtigen Details von bisherigen Darstellungen ab.

Im GIS rekonstruierter Verlauf der Grenze zwischen dem Kanton Bern und dem Kanton Oberland um 1800. (GIS HSE 2018; Kartengrundlage Dufourkarte, 2. Auflage, Blätter 12 und 13)

Amsoldingen und Reutigen gehörten gemäss der helvetischen Gebietsaufteilung vom 21. April 1798 zum Kanton Bern.[3] Die Zugehörigkeit von Amsoldingen, Reutigen, Stocken-Höfen und Zwieselberg zum Kanton Bern ist auch in der Stapfer-Enquête belegt. In Steffisburg bildete die Zulg die Grenze. Das lässt sich aus einer der bernischen Strassenlisten schliessen. Gemäss dieser führte «die Straße von Bern gegen Thun […] von Bern nach Muri – Allmedingen – Münsigen – Niederwichtrach – Heimberg bis zur Zuldbrügg [Zulgbrücke], wo sie in den Canton Oberland trittet».[4] Mallets Schweizerkarte von 1798 bestätigt den Grenzverlauf entlang der Zulg. Die Gemeinden Schwendibach und Goldiwil, die heute in der Gemeinde Thun liegen, sowie Heiligenschwendi, Teuffenthal, Horrenbach und Eriz wurden in der helvetischen Bevölkerungserhebung von 1798/1799 beim Kanton Bern aufgeführt.[5]

Die helvetische Grenze zwischen Thun (Oberland) und Goldiwil (Bern) und zwischen Hilterfingen (Oberland) und Heiligenschwendi (Bern) wurden mit dem Topographischen Atlas, Blatt 353, Ausgabe 1876, respektive mit dem Blatt 353, Ausgabe 1876, rekonstruiert. Der so rekonstruierte Grenzverlauf erklärt auch die Tatsache, dass das Dorf Hünibach in den Bevölkerungs- und Gebäude-Tabellen vom Januar 1799 unter dem Kanton Bern aufgeführt wurde.

BER-OBE_Thun_TA-353_Ausschnitt

Im GIS rekonstruierter Verlauf der Grenze zwischen dem Kanton Bern und dem Kanton Oberland um 1800. (GIS HSE 2018; Kartengrundlage Topographischer Atlas, Blätter 355 und 391)

Quellen

Die Amtskorrespondenz zwischen der Zentralverwaltung respektive dem Kriegsministerium und den Behörden des neuen Kantons Oberland unterscheidet sich relativ stark von der des neuen Kantons Bern, wo die für die damaligen Verhältnisse vergleichsweise moderne Verwaltung des ausgehenden Ancien Régime nachwirkte. Im Kanton Oberland gab es eine solche Tradition offensichtlich nicht. Gemäss den nach Kantonen gegliederten Registern der Missivenbücher, das heisst jener Bücher, in denen Kopien der abgehenden Schreiben im chronologischen Nacheinander festgehalten und die numerierten Eingänge der auf diese bezogenen Antworten verzeichnet sind, stand der Kanton Oberland an zweit-, wenn man den Kanton Rhätien noch miteinrechnet, an drittletzter Stelle (siehe dazu «Schriftlichkeit als Verwaltungsprinzip»).[6]

Im Zusammenhang mit den verschiedenen Umfragen sind aus dem Kanton Oberland folgende im Projekt transkribierte Dokumente überliefert:

  • Brückeninventar, nicht datiert.[7]
  • Antwort auf die Klassifikationsumfrage vom 22. Oktober 1800, nicht datiert.[8]
  • Rückmeldung des Kriegsministers auf die Strassenklassifikation der kantonalen Verwaltungskammer vom 4. Januar 1801.[9]
  • Antwort auf die Umfrage vom 15. Februar 1801.[10]

Im Weiteren sind in den Beständen der Abteilung III des Kriegsministeriums verschiedene Karten überliefert, die den Kanton Oberland oder Teile von diesem zeigen:

Das Strassenwesen des helvetischen Kantons Oberland gemäss der Klassifikation von Ende 1800

Wir stützen uns für die folgende deutsche Paraphrasierung der Strassenklassen auf das französische Circulaire, auf den deutschen Text des Gesetzes vom 22. Oktober 1800 sowie auf die Klassifizierungen der Kantone Basel[16] und Waldstätten.

1. Klasse
Hauptstrassen, die durch Transport grosser Lasten, durch Diligencen und allgemein grosse Frequenzen am meisten mitgenommen werden.

2. Klasse
Strassen, die durch Fuhrwerke des Handelsverkehrs weniger mitgenommen werden, die aber dennoch zu den grossen Strassen gerechnet werden.

3. Klasse
Kommunikationswege, die von den grossen Strassen aus ins Landesinnere führen oder die Regionen untereinander verbinden.

4. Klasse
Gemeindeverbindungen.

5. Klasse
Saumwege.

6. Klasse
Fusswege.

Zur Klasseneinteilung siehe auch «Strassenklassen».

Das Strassennetz des Kantons Oberland gemäss der Rückmeldung des Kriegsministers vom 4. Januar 1801. (GIS HSE 2018; Relief Imhof 1982)

Das Strassen- und Wegnetz des Oberlands war stark durch die naturräumliche Strukturierung der Regionen, der Seen und der Täler vorgegeben. Vom Chausseebau des alten Staats Bern war der Kanton Oberland nur insofern berührt, als die Strasse von Bern nach Thun zwischen 1750 und 1760 ebenfalls aus- und teilweise neu gebaut worden war.

Wie in anderen Gebirgskantonen hatte die Verwaltungskammer die nachträglich eingeräumte Möglichkeit, das Netz der Hauptverbindungen nicht in vier, sondern in sechs Klassen, das heisst inklusive wichtiger Saum- und Fusswege zu klassifizieren. Fahrstrassen- respektive fahrbare Wege bestanden zwischen den Seen, ins obere Simmental bis Saanen, ins Frutigtal bis Frutigen, von dort fortsetzend ins Kandertal bis Kandersteg, im Lauterbrunnental bis Lauterbrunnen, im Lütschental bis Grindelwald sowie zwischen Brienz und Meiringen. In der ersten Antwort der Verwaltungskammer wurde die Simmentalstrasse noch als zweitklassig eingestuft. Sie wurde jedoch von der Zentralverwaltung in die dritte Klasse abklassiert.

Die dritt- und viertklassigen Strassen konnten mit den in der Region vorhandenen leichten Fuhrwerken, aber nicht mit den schweren Lastfuhrwerken des überregional operierenden Transportgewerbes und auch nicht mit in regulären Kursen verkehrenden Postkutschen befahren werden. Alle anderen Wege – es handelte sich um mehr als die Hälfte aller klassierten Verbindungen im Kanton Oberland – konnten nur mit Saumtieren oder zu Fuss begangen werden. Einige der über das Hochgebirge führenden Wege waren zudem nur vom Spätfrühling bis zum Wintereinbruch begehbar.

 

[1] Anne-Marie Dubler. Oberland, in: HLS, URL: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/008633/2009-08-13/ [11. 4. 2018].

[2] Jörin, Ernst. Der Kanton Oberland 1798–1803, Dissertation, Universität Zürich, Zürich 1912, 28f.

[3] ASHR 1, Nr. 30, 671.

[4] CH-BAR#B0#1000/1483#3171#1, 109-113v, fol. 110, PDF-S. 198.

[5] CH-BAR#B0#1000/1483#1090k*, CH-BAR#B0#1000/1483#1090l*, Bevölkerungstabellen  Volkszählung 1798/1799; diese hat uns freundlicherweise Prof. Dr. Martin Schuler zur Verfügung gestellt.

[6] Missivenbücher der Korrespondenz des Kriegsministers an Minister, Regierungsstatthalter,  Verwaltungskammern, Strassenaufseher und andere Beamte vorwiegend über Bau, Unterhalt, Reparatur und Bezahlung von Strassen, Brücken, Festungswerken und Dämmen sowie über Fragen der Zölle; CH-BAR#B0#1000/1483# 2812-2815.

[7] Nicht datiert, CH-BAR#B0#1000/1483#3174#1, fol. 84-85 [PDF-S. 127-127].

[8] CH-BAR#B0#1000/1483#3171#1, 191v-193 [PDF-S. 355-357]. Die Klassifikation ist nicht datiert. Die Rückmeldung des Kriegsministers auf diese datiert vom 4. Januar 1801 Das heisst, dass die erste Version der Klassifizierung noch Ende 1800 zusammengestellt und eingereicht wurde.

[9] CH-BAR#B0#1000/1483#2814#1, p. 3-4 [PDF-S. 4-5].

[10] CH-BAR#B0#1000/1483#3175-02#1, fol. 27-46 [PDF-S. 43-81].

[11] CH-BAR#B0#1000/1483#3171#1_fol. 191v [PDF-S. 355].

[12] BAR#B0#1000/1483#3177#1_0050.

[13] Plan du chemin pris dès Somet du Mont Gemmi au pont de Bois sur le Rhône, CH-BAR#B0#1000/1483#3177#1_0057–0062.

[14] CH-BAR#B0#1000/1483#3177#1_0053.

[15] Samuel Loup. République de Berne. L’Oberland, London 1754; CH-BAR#B0#1000/1483#3186#1_0023

[16] CH-BAR#B0#1000/1483#3170#1, fol. 1-9 [PDF-S. 1-17], fol. 1.