Ausblick – Bruch oder Kontinuität

Mit der Umfrage der 23 Fragen enden die Initiativen zur Informationsermittlung der Division III «Génie, Ponts et Chaussées». Sicher hängt dies mit der allgemeinen Abnahme der Verwaltungsintensität zusammen, die spätestens im Jahr 1802 einsetzte. Gründe dafür waren die institutionellen Schwächen der Republik, die politischen Instabilitäten, die regionalen Eigendynamiken und vor allem die Knappheit der finanziellen Mittel. In diesem Zusammenhang muss aber auch der Tod von Jean Samuel Guisan am 19. Juni 1801 erwähnt werden. Der erste helvetische Generalinspektor war in der Zentralverwaltung die treibende Kraft der Verwaltungsreform gewesen.

Alle mit den Enquêten zum Strassenwesen verbundenen respektive vorbereiteten Schritte scheiterten oder – viel häufiger – versandeten mehr oder weniger still. Dies kann beispielhaft am Schriftwechsel zwischen der Zentralverwaltung und Johann Jakob Heussi, dem Unterstatthalter des Distrikts Glarus, der gleichzeitig auch Strassenverantwortlicher des Kantons Linth war, nachvollzogen werden. Heussi steht stellvertretend für die schwierige Position der Vertreter der Zentralregierung und ‑verwaltung in den Kantonen und Distrikten. Er war im ausgehenden Ancien Régime Abgeordneter des Landes Glarus in den ennetbirgischen Vogteien und in den Jahren 1794 bis 1796 Landvogt in Mendrisio gewesen. In den beiden ersten Jahren der Helvetischen Republik wurde er Regierungsstatthalter des neuen Kantons Linth. Als solcher rief er anlässlich von Unruhen im Distrikt Glarus französische Truppen zu Hilfe, was seine Position vor Ort prekär machte. Aufgrund des Umstands, dass sich Heussi in Ausführung der Anordnungen der Zentralverwaltung immer wieder gegen die Bevölkerung stellte, war er mehrere Male gezwungen, mindestens zeitweise aus dem Kanton respektive aus dem Distrikt Glarus zu fliehen. Der kantonale Strasseninspektor berichtete zu Beginn des Jahres 1801 einmal mehr nach Bern, das Volk würde die von der helvetischen Regierung her kommenden und auch seine eigenen Anordnungen missachten, wofür er unter anderem die fehlende Unterstützung respektive die fehlende Autorität der kantonalen Verwaltungskammer verantwortlich machte.[1] In folgenden Schreiben nannte er ausbleibende Zahlungen an die Wegknechte als eine der Ursachen des allseitigen passiven Widerstands im Strassenwesen.[2] Mitte Februar 1802 bat Heussi die Zentralverwaltung um seine Entlassung. Er werde in seiner Position vom Volke angefeindet.[3] Am 20. August 1802  meldete dem Kriegsminister seine jüngste Flucht und erinnerte diesen, dass auch er persönlich noch 425 Franken zugute habe.[4] Damit endet der Briefwechsel.

Mit dem Untergang der Helvetischen Republik war die Geschichte der Strassenreform aber nicht zu Ende. Sie hatte in einzelnen Ständen der Alten Eidgenossenschaft bereits im Ancien Régime begonnen. In dieser stellte die Helvetik wohl eine forcierte Phase mit teilweise überzogenen zentral- und nationalstaatlichen Zielsetzungen dar. Sie setzte sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und dann vor allem der Regenerationszeit in den Kantonen in unterschiedlichem Tempo und in unterschiedlicher Intensität fort. Das Strassenwesen blieb dabei eine wichtige Leitlinie der allgemeinen Verwaltungsmodernisierung. Positive Wirkungslinien ergaben sich in den unmittelbar auf die Zeit der Helvetik folgenden Jahren vor allem über die personellen Kontinuitäten jener Fachleute, die in den Kantonen einfach weiterarbeiteten und die schon bestehenden Strassenämter fortführten respektive in den neuen Kantonen erst aufbauten. Bemerkenswerte Kontinuitäten ergaben sich beispielsweise bei folgenden Personen und Kantonen:

  • Abram-Henri Exchaquet (1742–1814), der ab 1767 in der Waadt tätig gewesen und 1779 zum Strasseninsprektor aufgerückt war, hatte diese Funktion auch im helvetischen Kanton Léman inne. 1801 wurde er zum Nachfolger von Jean Samuel Guisan als Generalinspektor gewählt. Nach der Helvetik ist er als Strasseninspektor wieder im Kanton Waadt überliefert.
  • Pierre Bel (1742–1803), der in der bernischen Strassenverwaltung des Ancien Régime zeitweise mit Exchaquet zusammengearbeitet hatte, war in der Zeit der Helvetik Strasseninspektor des Kantons Freiburg. 1803 wurde er kantonaler Strassen- und Brückenaufseher des nördlichen Teils des Kantons Waadt.
  • Francesco, Meschini (1792–1840) war 1801 bis 1803 Mitglied der Verwaltungskammer des Kantons Lugano und Strassen- und Brückeninspektor der Kantone Lugano und Bellinzona. Sein 1801 entworfener Sanierungsplan[5] wurde die Grundlage der Realisierung der im neuen Kanton Tessin ab 1803 direkt folgenden Strassenausbauten. Meschini leitete in der Regierung des neuen Kantons die öffentlichen Arbeiten bis in die 1820er-Jahre.
  • Sigmund Spitteler (1732–1818) war 1780 vom Kleinen Rat in Zürich als Strasseninspektor gewählt worden. Diese Funktion hatte er dann auch in den helvetischen Kantonen Zürich und Baden inne. Er blieb nach 1803 im zürcherischen Weg- und Strassendepartement tätig, wo er unter anderem die erste Etappe des Kunststrassenausbaus und namentlich den Bau der Strasse von Zürich nach Knonau leitete.
  • Johann Jakob Schäfer (1749–1823) war in der Zeit der Helvetik strassenverantwortliches Mitglied der Verwaltungskammer des Kantons Basel. Nach 1803 wurde er zunächst Kantonsgeometer, bevor er 1806 zum sogenannten Landkommissar ernannt wurde.

Ähnliche Karrieren in den entstehenden Tiefbauressorts vor, während und nach der Helvetik wären anhand von Caspar Moor aus dem Kanton Oberland, Joachim Eugen Müller aus dem Kanton Waldstätten, Johann Daniel Osterrieth aus dem Kanton Bern oder Karl Josef Schwaller aus dem Kanton Solothurn nachzuzeichnen. Diese Fachleute bauten nicht zuletzt auf dem im ausgehenden Ancien Régime und forciert in der Zeit der Helvetik geschaffenen und verbreiteten Knowhow, den Verwaltungsgrundlagen, den Lehrbüchern und den Instruktionen auf.

Eine genauere Untersuchung verdienten die Fragen, ob und wie weit der Bau der Strasse über den Simplon in den Jahren 1800 bis 1805 und die Linthkorrektion, die Kanalbauten in der Linthebene der Jahre 1807 bis 1823 auch auf Planungen und personellen Konstellationen der Helvetik beruhten.[6] Langfristige Wirkungslinien wären im forcierten Kunststrassenbau der 1820er- und vor allem der 1830er-Jahre zu suchen – und auch zu finden.



[1] CH-BAR#B0#1000/1483#3152#1, fol. 161-164 [PDF-S. 278-284].

[2] CH-BAR#B0#1000/1483#3152#1, fol. 340-342 [PDF.-S. 602-607].

[3] CH-BAR#B0#1000/1483#3152#1, fol. 362 [PDF.-S. 639-640].

[4] ASHR X, Nr. 2083, 845. Zu Johann Jakob Heussi vgl. Winteler, Jakob. Geschichte des Landes Glarus,

Bd. 2: Von 1638 bis zur Gegenwart, Glarus 1954, 230, 261, 285–302, 319, 325–326, 331–336.

[5] CH-BAR#B0#1000/1483#3169#1, fol. 35-98v [PDF-S. 65-190].

[6] Zur Linthkorrektion, siehe Speich, Daniel. Helvetische Meliorationen. Die Neuordnung der

gesellschaftlichen Naturverhältnisse an der Linth (1783–1823), interferenzen 6, Zürich 2003,

176ff.; Jean Samuel Guisan. Rapport sur les Debordemens de la Linth, 28 Dezember 1798, CHBAR#

B0#1000/1483#744#3, p. 539–546 [PDF-S. 461-468]; zum Zusammenhang des Infrastrukturbaus

und der Arbeitsbeschaffung siehe CH-BAR#B0#1000/1483#3147#1, fol. 175-176 [PDF-S.

249-250]; Planskizze von Guisan: CH-BAR#B0#1000/1483#3179#1_0149.

Zur Simplonstrasse u. a. Mémoire de François Samuel Wild concernant le chemin à travers le

Simplon, vom 18. Januar 1801, CH-BAR#B0#1000/1483#3150#1, fol. 63-67 [PDF-S. 97–105]; CHBAR#

B0#1000/1483#3166; CH-BAR#B0#1000/1483#3168.